antlitze, panim

zur ausstellung «kern und hülle» von hubert bienek
in der cascade/langenthal

die arbeiten von zwei kreativ tätigen treffen sich in diesen wochen und bis zum 8. juni in diesen räumen. textil und textur. christine hursts farbige welt der textilien und hubert bieneks schwarz-weisse texturen in keramik, papier und bronze. ihre verspielte welt und seine eher strenge. körperhüllen und antlitze.

hubert bienek experimentiert mit den elementen. da steht er in bern auf einer brücke hoch über dem fluss und lässt riesengrosse seifenblasen langsam weggleiten, während passanten diesen wundersam gemächlich schwebenden gebilden nachschauen. oder er formt mit seinen händen mehrere hundert kugeln, die er in grosser hitze in einem ofen auf der strasse und vor den augen von vorbeigehenden brennt und sie nachher in strenger reihung in einer grossen halle hinlegt, worauf der prachtvolle saal im stadtzentrum von basel ein anderes gepräge erhält, mit den augen neu vermessen und ganz anders wahrgenommen wird.

das ist der mann, der mit eigener hände arbeit formt. eine drei meter hohe arbeit steht derzeit auf einer insel im rhein, holz aus dem sagenumwobenen wald tamangur im unterengadin, eine der heimaten dieses mannes. oder eine plastik aus granit, auch sie übermannshoch, ein gebilde aus geflammtem granit. mit starker hitze hat er dem granit formen abgerungen. feuer, erde, luft sind seine elemente. feuer wohl das wichtigste.

und doch ist da noch ein weiteres element, mit dem dieser künstler ringt. es ist ein zunächst unsichtbares element, das erst dann wahrgenommen wird, wenn man auafmerksam hinhört: es ist die sprache. wer hubert bienek gegenüber sitzt, wer mit ihm spricht, nimmt die präzision im ausdruck wahr. seine sätze kullern nicht hervor, sie fallen nicht in den raum, sie sind stets wohlüberlegt, durchdacht, geformt, ob in der hochsprache, im dialekt, in rätoromanisch oder englisch.

präzision im ausdruck gilt auch für seine plastischen arbeiten. kern und hülle nennt er die ausstellung in den schauräumen von cascade. kern und hülle will etwas besagen zur arbeitsweise mit der diese objekte entstanden sind.

doch zunächst zu den objekten. ganz diskret, so diskret wie sein häufig leiser auftritt, sind im vorderen raum erste objekte aus der werkstatt von hubert bienek zu sehen. sie passen sich so sehr dem raum an, dass man sie in den ersten momenten nicht wahrnimmt. erst beim genaueren hinsehen, beim zurückschauen und beim weiterschreiten sieht man sie: weiss auf weisser wand. tropfen? masken? landschaften? reliefs? tierpanzer?

haben sich hier grosse käfer an der wand zur ruhe gestellt? oder blicken uns hier gesichter an? sind es verschlossene gesichter, die sich uns zuwenden? schwarz neben weiss, aus unterschiedlichen materialien geformt, sich gegenseitig verstärkend, maskenpaare vielleicht, identisch aussehende zwillingsgebilde? immer einfarbig, stark konturierte gebilde sind es, die sich hier uns präsentieren. sind hier angedeutete augenhöhlen erkennbar? ist dort ein nasenbein erkennbar?

panim nennt hubert bienek diese serie von arbeiten. panim heisst übersetzt gesicht. panim ein wort aus dem hebräischen. ein interessantes wort, das in dieser form in der sprache des alten testaments im singular wie im plural genau gleich ausgesprochen wird. panim heisst antlitz. mal das einzelne gesicht, mal gesichter bedeutend. panim ist das einzige hebräische wort für antlitz. panim ist im hebräischen ein ganz besonderes wort, es ist das einzige wort im alt hebräischen, das kein singular kennt. panim primär als gesicht, aber es ist in seiner wortbedeutung auch die oberfläche (schetach panim) und natürlich scheint die wurzel pnim, innendrin, drinzustecken. im ersten satz des alten testaments kommt das wort bereits vor, das hubert bienek als titel für seine serie wählt: «bereshit bara elohim et ha shama’im ve et ha’aretz. ve ha’eretz haita tohowabohu. ve choscheh al pnei thom ve ruach elohim merachefet al pnei ha’maim». und der geist gottes wehte auf dem antlitz des wassers“. man könnte auch übersetzen: «auf der oberfläche des wassers». panim hat also beides, das äußere, die oberfläche, und das innere, was dahinter steckt.

das aeussere und das innere. wir sehen das aeussere, wenn wir diese gebilde als antlitze annehmen. wer ein gesicht betrachtet, will sich ein bild machen. hubert bienek will uns vielleicht mit seinen panim sagen, wie schwierig es ist, sich ein bild von einem gesicht zu machen. der mensch beherrscht die kunst, sich zu verstellen: wenn er weint, muss er nicht traurig sein. und lacht er, dann kann ihm sehr wohl zum heulen zu mute sein. das gesicht ist ein inszenierungsort, eine art theater. hubert bienek verdeckt gewissermassen die gesichter, umhüllt sie, um uns zu sagen, wie tückenreich es sein kann, gesichter, antlitze zu interpretieren.

schichten schauen uns an, geschichten. jedenfalls die geschichte eines künstlers, der mit dem wortpaar kern und hülle auf eine technik verweist, die er angewendet hat.

hundertacht solche gebilde lagern in seinem atelier. alle aus den allerletzten etwa 200 bis 300 kilogramm porzellanmasse geformt, welche die frühere berühmte langenthaler porzellanfabrik auf ihrem gelände noch besass. hubert bienek hat diese porzellanerde, zu der zeit als sie noch lebte und formbar war, geknetet, gewalkt, behauen, geschlagen, vertrimmt, gedrückt und geformt. und er hat sie in einem ofen in über 1000 grad celsius der hitze und dem feuer ausgesetzt, sie dann in sekundenschnelle einem temperatursturz unterworfen, um der weissen masse das in ihr verborgen lagernde eisen hervorzulocken und auf diese weise schwarz werden zu lassen, indem er sie einem chemisch-physikalischen prozess überlassen hat. hinter der weissen masse verbirgt sich die schwarze. hinter der hülle versteckt sich der kern. kern und hülle. diese strukturen aus weisser keramik sind der kern. in weiteren arbeitsschritten giesst hubert bienek später die hier zu sehenden formen in bronze, eine dritte dimension entsteht auf diesem wege, eine weitere hülle gewissermasen, als wollte uns der künstler besagen, dass panim, der äussere antlitz, noch weitere innenebenen, innenleben besitzt.

jede dieser formen ein unikat und doch verwandt mit den anderen, vergleichbar mit den textilen kreationen von christine hurst, die hier unikate in textil zeigt. und während langenthaler porzellanmasse ein zweites und so anderes leben schenkt, das so nicht vorgesehen war, verleiht sie dekor- und vorhangstoffen aus langenthal sowie matratzenstoffen, die sie in der region bei sattlern und polsterern der region gefunden hat, ein so anderes leben. in diesem sinne hauchen beide materialien textil wie porzellanmasse ein zweites, ein so zu beginn nicht geahntes, nicht vorhersehbares leben ein. jede dieser strukturen ist ein unikat, ein individuum für sich. die porzellanmasse ist modell und kern und herz der hülle aus bronze, die am ende eines arbeitsprozesses steht.

michael guggenheimer, 7. april 2013