«ich möchte, dass du mir hilfst, schluss zu machen»

emmanuèle bernheim berührender bericht über ihren vater

«alles ist gutgegangen» lautet der titel von emmanuèle bernheims buch und man erinnert sich an den nicht unähnlichen titel von arno geigers generationenroman «es geht uns gut». da ist aber auch noch geigers «der alte könig in seinem exil», in dem er die alzheimerkrankheit seines betagten vaters verarbeitet. doch während geigers buch in österreich und an der grenze zur schweiz handelt, spielt bernheims roman in paris und unterwegs von dort nach bern. hier geht es um eine tochter und ihren vater. andré bernheim, fast 90 jahre alt, kunstsammler, bittet seine tochter nach einem schlaganfall, ihm beim sterben zu helfen. er hat das leben gekostet, eben weilte er noch auf den seychellen, ein mann voller neugierde, der die enge seiner krankheit, die verluste, die der schlaganfall mit sich bringt, nicht mehr erleben will. andré bernheim, nach dem hirnschlag halbseitig gelähmt, kaum mehr in der lage zu sprechen wird künstlich ernährt, er sieht schlecht und kennt den alltag der kranken nur allzu gut. in seiner krankenakte sind eine herzoperation, die entfernung der milz, eine lungenembolie, depressionen, sowie eine schwere schädelverletzung vermerkt. grund für ihn, der er weiss, was auf ihn zukommen könnte, das eigene leben zu beenden. nur wie? «ich möchte, dass du mir hilfst, schluss zu machen», sagt er seiner tochter. «das ist so irreal, dass ich nicht verstanden hätte, was eigentlich passiert ist, hätte ich es nicht aufgeschrieben. dieses buch, das war mein trauern», sagt die autorin.

weil sterbehilfe in frankreich nicht gestattet ist, nimmt die autorin kontakt mit einer sterbehilfeorganisation in der schweiz auf. dokumente müssen beschafft, ärzte konsultiert, der widerstand der schwester und weiterer verwandter überwunden werden. emmanuèle bernheims text ist kein roman, es ist der hervorragend erzählte bericht eines konfliktreichen weges eines sterbewilligen und seiner tochter, die sich entscheiden muss. soll sie dem vater entgegenkommen? ist es erlaubt, jemandem zum eigenen tod zu verhelfen? die autorin gewährt uns lesenden einblicke in ihre starken stimmungsschwankungen und unsicherheiten. trauer über die hoffnungslose lage des kranken und der wortwitz des alten mannes mischen sich in diesem buch. als klar wird, dass seine letzten atemzüge in bern stattfinden könnten, meint kunstkenner andrè bernheim: «ich war etwas enttäuscht vom zentrum paul klee», sterben würde er lieber in einer anderen stadt. eine letzte mahlzeit vor dem aufbruch in den tod muss stilvoll in einem edellokal stattfinden, drei gänge, fleisch, frites, dessert und ein erlesener tropfen gehören zum ritual des abschieds. und als die beiden ambulanzfahrer, die ihn nachts über die grenze in die schweiz fahren, bei einem zwischenhalt vernehmen, weshalb der kranke in die schweiz gebracht wird, stellt sich heraus, dass sie gläubige muslime sind, denen eine beihilfe zur sterbehilfe strengstens untersagt ist. die beiden fahrer wollen umdrehen und zurück nach paris fahren.

sparsam im stil und einfühlsam, vermag emmanuèle bernheim die hoffnungslose situation ihres vaters ebenso zu schildern wie ihre starken ambivalenzen: soll sie ihrem vater zu kontakten mit der schweizer sterbehilfeorganisation verhelfen oder doch nicht. durchwachte nächte und stimmungsaufheller begleiten sie während monaten, in denen sie ihren vater immer wieder am krankenbett besucht. aus amerika angereiste verwandte versuchen, den todeswilligen von seinem plan abzubringen, sie teilen den justizbehörden mit, dass hier jemand dem eigenen leben ein ende setzen will, was innerfamiliäre konflikte nur noch anheizt. die debatte über sterbehilfe, häufig theoretisch geführt, kommt hier jedem leser unweigerlich nahe, sehr nahe. vier jahre nach dem tod ihres vaters hat die 59 jährige autorin, sie hat mehrere romane veröffentlicht und schreibt drehbücher zusammen mit françois ozon, u. a. für «swimming pool» ihre erinnerungen aufgeschrieben. ein sehr persönliches buch, das berührt, ob man nun für die sterbehilfe ist oder gegen sie. was, wenn man eines tages von einem freund, einem angehörigen, gefragt wird, beim verlassen des lebens behilflich zu sein? emmanuèle bernheim hat ihren vater fast bis zum schluss begleitet. als er den giftbecher in bern nimmt, ist sie in paris. wäre sie mitgefahren, sie hätte sich laut französischer gesetzgebung strafbar gemacht. ein anregendes buch, ein trauriges buch voller einsichten in konflikte, die man erleben könnte.

emmanuèle bernheim: «alles ist gutgegangen.» hanser berlin, 2014